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12. Dezember 2020

Anleitung zu grenzenloser Völlerei:

In dem Buch steht, ich solle mir vorstellen, dass ich auf einer Wiese liege und mir die Sonne das Gesicht wärmt. In der Ferne Vogelgezwitscher. Ein kleiner Wind streicht sachte über die Gräser.

Bild steht.

Nach einer Zeit soll ich aufstehen und einem Pfad über die Wiese zu dem nahe gelegenen Wald folgen. Nein, meine Wiese stößt direkt ans Gehölz.

So gilt auch die Anleitung für mich nicht, am Rand des Waldes nach einem Haus Ausschau zu halten. Mein Gedankengebäude steht mitten im Wald, der schon nach wenigen Schritten tief und dunkel wird. Ich habe eine Blockhütte mit heruntergezogenem Dach entworfen.

Im Buch heißt es, dass die Tür offen sei. Möglich. Weit und breit kein Mensch zu sehen, lese ich. Ja, das stimmt. Dass ich neugierig auf das Haus wäre, nicht.

Schließlich muss ich doch hinein. Es ist dämmrig. Ein Tisch, ein Stuhl. Ein Bettgestell an der Wand.

Hinsetzen!

Meine Kinderfaust umklammert den Holzlöffel, der neben meinem Tellerchen liegt. Wir sind so traurig, das Haus und ich.

Das Buch hält eine Überraschung bereit und behauptet: Ich werde alle Leckereien finden, von denen ich je geträumt habe. Sie sollen mir allein gehören. Aber – schon wieder habe ich einen Einwand gegen die Buchstaben – die Suppe zum Befüllen meines Tellers ist außer Sichtweite. Ich rieche sie nicht einmal. Na und, kontert das Buch, du hast den Duft frischen Brotes. Tatsächlich liegt eine dicke, handgeschnittene Scheibe vor mir auf dem Tisch und irgendwo im Dämmer hängt ein Schinken von der Decke. Er ist glatt und braun. Auch er duftet. Essen tue ich nichts von alledem. Das Buch ist verstimmt.

Es steht geschrieben, ich könne bleiben, solange ich will. Ich dürfe für mich sein oder jemanden einladen, sogar mehrere. Ich wäre frei, zu tun, was immer mir beliebt. Das habe ich schwarz auf weiß. Aber ich kenne niemanden. Dunkel ist es hier drinnen, selbst am Tag.

Dieses Haus, dieses Zimmer wird immer für Sie da sein, versichert mir das Buch. Ich könne jederzeit zurückkommen, wann immer mir danach sei und all die Köstlichkeiten genießen. Köstlichkeiten?

Schau dich um, fordert das Buch energisch. Ich wende den Kopf. Das Licht kommt von einer mannshohen Vitrine. Auf jeder Etage dieses Glasbaus erstrahlen Naschwerke im scharfen Licht dampfender Quecksilberlampen. Eine mehrstöckige Hochzeitstorte, das Paar tanzt oben auf, Petits Fours, die Farben schreiend komisch und Marzipanmöhren, kreisförmig angeordnet auf reinweißem Zuckerguss. Ich gehe hin und fresse.

Gerade hat mir eine rosa Cremeschnitte das Leben versüßt, da fordert mich das Buch zum Verlassen des Hauses auf.

Endlich.

Ich muss vorsichtig sein, damit nicht alles umschlägt im letzten Moment und man mich wirklich gehen lässt. Tun Sie etwas, bevor Sie das Haus verlassen, ermahnt das Buch. So nehme ich in Gottes Namen einige Marzipanmöhrchen mit nach draußen.

Aus tiefer Waldesstille trete ich in den hellen Sonnenschein. Legen Sie sich wieder auf die Wiese und ruhen Sie aus, lese ich. Ich aber bleibe stehen und lasse das Naschwerk links liegen. Lassen Sie sich von diesem herrlichen Sommertag umfangen, heißt es im Buch. Ich lasse mich umfangen und bin glücklich.

Mitten im Glück werde ich schriftlich aufgefordert, in die Wirklichkeit zurückzukehren, in den Raum, in dem ich tatsächlich lebe. Ich soll mehrmals tief durchatmen. Sie sind wieder da, erfahre ich. Das Buch gönnt mir einen Augenblick Ruhe, dann muss ich die Augen öffnen. Was sehen Sie?

Alles wie immer, antworte ich wahrheitsgemäß und mache mich auf die Suche nach der angebrochenen Tafel Schokolade von gestern.

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Datum:
12. Dezember 2020